Familie Richter – Hauptartikel
Familie Richter

Nahrung fürs Herz: Soziales Engagement in der Landwirtschaft

Diese Woche diskutiert die Familie Richter darüber, wie sich Schweizer Bäuerinnen und Bauern sozial engagieren. / Bild: Generiert mit KI

Diese Fragen werden im Beitrag beantwortet: 


  • Wie engagieren sich Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz sozial?

  • Wie haben sich die Zahlen in den letzten Jahren entwickelt?

  • Seit wann gibt es «Care Farming» bzw. «Green Care» überhaupt schon?

  • Was sind in diesem Bereich jüngste Entwicklungen auf der Polit-Bühne?

  • Wie kann soziales Engagement vonseiten Bäuerinnen und Bauern konkret aussehen?

  • Welche Anlaufstellen gibt es für interessierte Bauernhöfe?

Wenn Bauernfamilien Menschen mit Beeinträchtigungen aufnehmen oder Betreuung auf dem Hof anbieten, wenn sie Kindern eine Tagesstruktur bieten und Seniorinnen und Senioren im Alltag begleiten, dann leisten sie mehr als Landwirtschaft – sie übernehmen soziale Verantwortung.

  

Im dieswöchigen «Familie Richter»-Beitrag legen wir den Fokus ganz auf diese gesellschaftlichen Leistungen in der Schweizer Landwirtschaft. Denn das soziale Engagement von Landwirtinnen und Landwirten stärkt die Verbindung zwischen Stadt und Land deutlich: Es schafft Begegnungen, fördert den Wissensaustausch und das gegenseitige Verständnis 


Zahlenmässig ist das soziale Engagement in der Landwirtschaft heute noch eine kleine – aber wachsende – Nische: Im Herbst 2025 nehmen von rund 47'000 Schweizer Bauernhöfen etwas mehr als 1'100 Betriebe soziale Verantwortung wahr in Form von konkreten Angeboten für beeinträchtige oder ältere Menschen sowie Kinder und Jugendliche. 


Video der Woche

Einer davon ist BioLand Müller in Steinmaur ZH: Seit 15 Jahren bildet die Familie Müller in ihrer Hof-Gärtnerei Jugendliche mit Handicaps zum Gärtner oder zur Gärtnerin EFZ oder EBA aus:

Ein Profit für beide Seiten?

Das soziale Engagement von Landwirtinnen und Landwirte, das auch als «Care Farming» oder «Green Care» bezeichnet wird, bietet für pflegebedürftige Menschen ein vertrautes und stabiles Umfeld mit engem Naturbezug und sinnstiftenden Aktivitäten. Studien belegen: Diese niederschwellen ergänzenden Angebote zu klassischen Institutionen helfen nachweislich dabei, die Integration betroffener Menschen in die Gesellschaft zu stärken.  

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Und auf den ersten Blick ist es eine Win-win-Situation, denn für die anbietenden Betriebe steigt das Einkommen und die Tätigkeitsdiversifikation. Fachstellen wie Agroscope und AGRIDEA erwarten daher für die kommenden Jahre ein weiteres Wachstum sozialer Angebote auf Bauernhöfen. Denn klar ist: Auch die Nachfrage im Pflege- und Betreuungsbereich wird in naher Zukunft deutlich steigen. 
 

Doch: Soziale Dienstleistungen von Landwirtschaftsbetrieben sind «sehr aufwändig, erfordern Fachwissen und sind sicher nicht für jeden Betrieb geeignet», sagt Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband (SBV) im Interview am Ende dieses Artikels. Die Erfahrung zeige: Nur, wenn die ganze Familie mitziehe, gelängen solche Vorhaben. «Es müssen genügend zeitliche Ressourcen für einen weiteren Betriebszweig zur Verfügung stehen und manchmal müssen auch bauliche Anpassungen, wie etwa bei den Wohnräumen, vorgenommen werden», so Helfenstein. 

Die Leiterin Kommunikation und Marketing beim SBV rät interessierten Bauernhof-Familien, landwirtschaftliche Betreuungsorganisationen wie die Stiftung Landwirtschaft & Behinderte, die WoBe AG oder Green Care Schweiz in ihr Vorhaben mit einzubeziehen.

Zertifizierungen ab 2026 

Erst in den letzten 15 Jahren kam der Stein beim Care Farming richtig ins Rollen; bis etwa 2010 waren die meisten Angebote noch informell. 2022 wurde der Verband Green Care Schweiz gegründet, der als Dachorganisation soziale Dienstleistungen im ländlichen Umfeld stärkt und Vernetzungsarbeit leistet. Einheitliche Standards für die ganze Schweiz fehlen bisher aber, etwa bei den Qualitätsanforderungen, den Bewilligungen oder der Finanzierung.   

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Im Juni 2025 schrieb die Bauernzeitung dann, die Kommission Qualität von Green Care Schweiz habe Kriterien festgelegt, gemäss denen sich Green-Care-Anbieter zertifizieren können – «die ersten Betriebe sollen 2026 zertifiziert werden».  


Statistik der Woche

Hast du gewusst, dass...?

Interessante Zahlen und Fakten zum Thema Soziales Engagement in der Schweizer Landwirtschaft:

Interessante Zahlen und Fakten zu Green Care in der Schweiz

Geschichte geschrieben wird jetzt  

Mit den Co-Präsidenten Raphaël Mahaim und Alois Huber hat Green Care Schweiz zwei Nationalräte im Vorstand. Im September 2025 reichten sie ein Postulat im Parlament ein, in dem der Bundesrat beauftragt wird, zu prüfen, wie Green Care in der Schweiz systematisch gefördert und durch eine nationale Strategie unterstützt werden kann.  


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Die Kern-Ziele: Bessere Sichtbarkeit und Vernetzung, finanzielle Sicherheit und faire Entschädigungen der Betriebe sowie Anerkennung durch Sozialversicherungen. Weitere Ziele: Der Aufbau einer Beratungsstelle und die Entwicklung schweizweiter Ausbildungsgänge in allen Landessprachen.  


Ob und wann der Bundesrat den geforderten Bericht vorlegt, und wie eingehend darin auf die einzelnen Punkte eingegangen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch offen. Unklar ist auch noch, wie stark einzelne Kantone und Sozialversicherungen sich bereit erklären, Care Farming anzuerkennen.

  

Klar ist einzig: Mit der Einreichung des Postulats «Green Care stärken – Neue Perspektiven für Landwirtschaft und Gesellschaft» ist das Thema «Soziales Engagement in der Landwirtschaft» auf Bundesebene angekommen. Egal, wie der Bundesrat reagiert: Care Farming bleibt ein Beispiel dafür, wie Landwirtschaft weit mehr leisten kann als Nahrungsmittelproduktion – nämlich Nähe und Menschlichkeit schaffen.  


Podcast-Folge der Woche
Landwirt Reto Alig aus Meilen ZH engagiert sich seit 16 Jahren nebenberuflich im Pflege- und Betreuungszentrum Sonnhalde in Grüningen ZH: «Meine Aufgabe ist es, Arbeit bereit zu haben, wenn die Leute kommen», erzählt er im Podcast, «und dann muss ich immer sehr flexibel sein, denn die kommen manchmal auch nicht, haben keine Motivation, haben verschlafen oder fallen anderweitig aus.» Mentale Tiefs gehörten zum Alltag. Wenn jemand weine, frage Alig nach, tröste und motiviere zum Weitermachen.  
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Alig setzt mit seinen Schützlingen Obstbäume. Oder er pflegt und erntet mit ihnen Gemüsebeete. Das Schönste sei es, abends die zufriedenen Gesichter der Bewohnerinnen und Bewohner des Zentrums Sonnhalde zu sehen. Und auch gelernt hat der Landwirt durch seinen Nebenjob etwas Wichtiges: «Mit positivem Blick durch die Welt gehen und es geniessen, solange es einem gut geht.» 
Interview der Woche

«Zahlreiche Projekte haben das Potenzial erkannt»

Sandra Helfenstein, Leiterin Kommunikation und Marketing sowie Mediensprecherin des Schweizer Bauernverbands (SBV), spricht im Interview über die gesellschaftliche Bedeutung sozialer Initiativen in der Landwirtschaft. Sie erklärt, mit welchen Herausforderungen Betriebe dabei konfrontiert sind – und stellt drei Organisationen vor, die Bäuerinnen und Bauern bei ihrem Engagement unterstützen. 

Welche Rolle spielt das soziale Engagement von Landwirtinnen und Landwirten in der Schweiz aus Sicht des Bauernverbandes? 
 

Die Bauernbetriebe erbringen generell ein grosses Engagement zugunsten der Bevölkerung. Neben der Produktion qualitativ hochwertiger Lebensmittel und der Pflege des Kulturlandes machen sie sich etwa stark bei der Feuerwehr oder im Winterdienst, bieten ihre Produkte an Wochenmärkten an, organisieren lokale Feste und sie engagieren sich stark in der Politik. Manche Bauernbetriebe leisten auch soziale Arbeit: Es gibt Betreuungs- und Begleitungsformen für alle Altersstufen. Die Angebote reichen von Mittagstischen über Kinderkrippen und Time-out-Platzierungen bis hin zur Integration von Menschen mit Beeinträchtigungen sowie zur Betreuung von Seniorinnen und Senioren. Wir hören immer wieder, dass das soziale Engagement wahrgenommen und sehr geschätzt wird.  

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Inwiefern sieht der SBV soziale Projekte auch als Chance, die Beziehung zwischen Stadt und Land zu stärken? 

Soziale Projekte tragen auf jeden Fall dazu bei, dass man die Landwirtschaft über die die Lebensmittelproduktion hinaus als wertvoll für die Gesellschaft ansieht. Und jeder, der irgendwann mal auf einem Bauernhof Zeit verbrachte, hat einen anderen, viel engeren Bezug zur Landwirtschaft und ihren Herausforderungen. Aber: Soziale Angebote sind oft zeitaufwändig und Zeit ist auf einem Bauernhof meist nicht im Überfluss vorhanden.  

Wie stark haben soziale Angebote in der Landwirtschaft in den letzten Jahren zugenommen?  

Es gibt dazu keine verlässlichen Zahlen. Der einzige Hinweis gibt die Zusatzerhebung des Bundesamts für Landwirtschaft zur Diversifikation. Dort sind über 1000 Betriebe beim Punkt «soziale Arbeiten» aufgeführt. Wir reden hier also von einer Nische. Was aber nicht verwunderlich ist, denn solche Dienstleistungen sind sehr aufwändig, erfordern Fachwissen und sind sicher nicht für jeden Betrieb geeignet.   

Wo sehen Sie die grössten Hürden oder Herausforderungen für Landwirte und Landwirtinnen, die sich im sozialen Bereich engagieren möchten? 

Die grösste Herausforderung ist die persönliche Eignung und die Voraussetzungen auf dem Betrieb. Die Erfahrung zeigt, dass es nur gelingt, wenn die gesamte Familie mitzieht. Oft gehen auch die betrieblichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen vergessen. Es müssen genügend zeitliche Ressourcen für einen weiteren Betriebszweig zur Verfügung stehen. Manchmal müssen auch bauliche Anpassungen, wie etwa bei den Wohnräumen, vorgenommen werden. 

Wie wird sichergestellt, dass das soziale Engagement nicht zur zusätzlichen Überlastung der Bauernfamilien führt, die ohnehin stark gefordert sind? 
 

Schlussendlich ist jeder Betrieb selbst in der Verantwortung, seine Möglichkeiten und Grenzen realistisch einzuschätzen. Helfen kann der Einbezug einer landwirtschaftlichen Betreuungsorganisation, die nicht nur fachlich, sondern auch in psychisch belastbaren Situationen eine Anlaufstelle und Stütze ist wie die Stiftung Landwirtschaft & Behinderte, die WoBe AG oder Green Care Schweiz. Letztere ist eine Dachorganisation bei der Umsetzung und Unterstützung sozialer, wirtschaftlicher, ökologischer und nachhaltiger Angebote im Bereich der Landwirtschaft. Die finanzielle Unterstützung ist je nach Betreuungsform sehr unterschiedlich.  

Wie sehen Sie die Zukunft dieser Engagements – erwarten Sie, dass der soziale Bereich für die Landwirtschaft an Bedeutung gewinnt? 

Es gibt mittlerweile zahlreiche Projekte, die das Potential von sozialen Dienstleistungen auf dem Landwirtschaftsbetrieb erkannt haben und es ausbauen möchten. Stolperstein sind aber oft bürokratische Hürden, die je nach Kanton unterschiedlich ausgestaltet sind. 


Das Wichtigste in Kürze:


  • Immer mehr: Im Herbst 2025 engagieren sich über 1'100 von rund 47'000 Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz sozial. Soziale Arbeit auf Bauernhöfen ist noch eine Nische, aber sie wächst.

  • Bezeichnung: Soziales Engagement in der Landwirtschaft wird auch als «Green Care» oder «Care Farming» bezeichnet. 

  • Win-win-Situation: Betroffene Menschen werden stärker in die Gesellschaft integriert, während engagierte Betriebe ihr Einkommen steigern und ihre Tätigkeiten diversifizieren. 

  • Aufwändig: Soziale Dienstleistungen erfordern Fachwissen und Zeit, manchmal auch bauliche Anpassungen. Nicht jeder Landwirtschaftsbetrieb kommt mit den Anforderungen klar, doch es gibt Anlaufstellen. 

  • Stein kommt ins Rollen: 2022 wurde der Dachverband «Green Care Schweiz»  gegründet, doch einheitliche Standards fehlen noch. Für 2026 sind nun Zertifizierungen geplant. 

  • Herbst 2025: Der Bundesrat ist durch ein Postulat beauftragt, zu prüfen, wie Green Care in der Schweiz systematisch gefördert werden kann. 

Für den vorliegenden Beitrag wurden folgende Quellen konsultiert: 

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Von Nahrung fürs Herz zu Nahrung für den Körper – hier diskutiert Familie Richter über Hülsenfrüchte:

Hülsenfrüchte: Pflanzliche Proteine auf dem Vormarsch?
Familie Richter – Hauptartikel
23. 09. 2025
Hülsenfrüchte: Pflanzliche Proteine auf dem Vormarsch? Diese Fragen werden im Artikel beantwortet:Was sind Hülsenfrüchte und was macht sie so gesund?Welche ökologisch positiven «Neben-Effekte» haben sie?Was unterscheidet pflanzliche von tierischen Proteinen?Wieso sind importierte Linsen oder Kichererbsen so viel günstiger?Wie setzt sich die «Lobby» für Hülsenfrüchte in der Schweiz zusammen?Essen wir hierzulande genug dieser «Wunderfrüchte»?Führen Bohnen automatisch zu Bl
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